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»Ich habe gemerkt, wie sehr ich mit dem Begriff ›deutsch sein‹ ringe«


Manche Ideen waren schon früher nicht gut. Etwa die eines deutschen Ehepaars, das vor 130 Jahren das Dorf Nueva Germania in Paraguay gründete, um das deutsche Blut vor fremden Einflüssen zu schützen. Der Plan ging nicht auf, aber das Dorf gibt es noch. Die Fotografin Constanze Flamme zeigt, was daraus geworden ist.

Florian Zinnecker

SZ-Magazin: Ihre Bilder aus Nueva Germania wirken sehr zurückhaltend. Warum sind die Fotos so leise?

Constanze Flamme: Bisher ist das Dorf in den Medien eher reißerisch dargestellt worden, gern bebildert mit Fotos von blonden Jungen, die der Größe nach aufgestellt waren. Ich wollte mich den Menschen anders nähern.

Was meinen Sie damit?

Meine Herangehensweise war ein Abtasten des Ortes und der Atmosphäre. Die Bilder zeigen Momente einer Geschichte, die man nicht auserzählen kann – zumindest ich kann das nicht. Manche Bilder lassen den Betrachter auch ratlos zurück. Das finde ich aufrichtiger und interessanter.

Was für eine Atmosphäre herrscht in Nueva Germania?

Ich habe dort eine große Isolation gespürt. Die Dorfbewohner habe ich als herzlich und neugierig erlebt, aber es gibt kein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl. Man spürt, dass die Familien entwurzelt sind, obwohl sie seit mehreren Generationen dort leben.

Wie sieht Nueva Germania heute aus?

Der Dorfkern ist vor allem von Paraguayern besiedelt und unterscheidet sich kaum von anderen Dörfern – bis auf die Straßennamen und schwarzrotgelben Markierungen.

Als Versuch, sich zu isolieren? Oder hat das andere Gründe?

Eine der Theorien zur Siedlungsgründung besagt, dass sich die Familien einzeln in Distanz zum Dorfkern verteilen sollten, um so die reine arische Rasse aufrecht zu erhalten. Wahrscheinlich ist das einer der Hauptgründe für das Scheitern des Projekts: weil jede Familie für sich sehr mühsam gegen Krankheiten und wilde Tiere kämpfen und sich mit einem Klima und einer Vegetation arrangieren musste, die in Nordosteuropa nicht bekannt waren. Die ersten 30, 40 Jahre waren die Menschen dort vor allem damit beschäftigt, zu überleben. Diese Zeit hat Spuren hinterlassen.

Welche Spuren?

Viele Bewohner sprechen noch deutsch, aber die Familien sind tatsächlich sehr vereinzelt. Es gab wohl Jahre der Geselligkeit, aber auch die Tradition gemeinsamer Weihnachts- und Dorffeste ist fast verschwunden. Es gibt jedoch sonntags eine Stunde deutsches Radio, das als Ritual gepflegt wird.

Wie gehen die Dorfbewohner selbst mit ihrer Geschichte um – als Nachfahren eines missglückten rassistischen Experiments?

Die Geschichte um Nueva Germania ist ziemlich schwammig und nicht dokumentiert; es gab dort keinen Dorfchronisten – die Geschichtsaufarbeitung erfolgt von außerhalb. Das Haus der Koloniegründer Elisabeth Nietzsche und Bernhard Förster ist abgebrannt. Auch das Haus, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg Gerüchten zufolge der Nazi-Arzt Josef Mengele gelebt haben soll, ist abgebrannt. Es gibt ein kleines Museum, das aber recht dürftig ist. Dafür gibt es eine Reihe journalistischer Beiträge über das Dorf, die zu hinterfragen sind. Diese haben auch dazu geführt, dass die Bewohner Medienvertretern misstrauisch gegenüber treten.

Welche Beiträge meinen Sie?

Etwa einen schon etwas ältereren Film der BBC, dessen Autoren massiv ins Dorfleben eingegriffen haben und beispielsweise blonde Kinder in Kutschen zu Musik von Richard Wagner durch das Dorf gefahren haben. Um ihre These zu stützen, dass das Dorf immer noch eine Kolonie im Sinne des Gründers ist.

Blonde Kinder, die zu Wagner-Musik Kutsche fahren – gab es das dort überhaupt jemals wirklich, oder ist das eher die Hoffnung der Gründer gewesen?

Die Siedler hatten ja von Anfang an keine Möglichkeit, sich wirklich abzuschotten und einen offenen Rassismus zu leben. Die waren auf die Hilfe und das Wissen der Einheimischen angewiesen – und das ursprüngliche Projekt wurde auch deshalb für gescheitert erklärt, weil es – natürlicherweise – Beziehungen zwischen Einheimischen und Siedlern gab.

Was interessiert Sie selbst an diesem Thema?

Generell bin ich an gesellschaftlichen Gesamtzusammenhängen und den psychologischen Auswirkungen von Krisen interessiert: Wie leben wir? Wie gehen wir mit Krisen um? Diese Fragen berühren mich. Und ich finde es interessant, dass da Ende des 19. Jahrhunderts einige arme Bauern aus Nordostdeutschland aufbrachen und – auch losgelöst von den sehr fragwürdigen Visionen der beiden Gründer – hofften, sie finden jetzt das Land, in dem Milch und Honig fließen. Gleichzeitig will ich die Geschichte des Ortes aber auch nicht verharmlosen.

Wie meinen Sie das?

Ich fand es problematisch und interessant, in der Distanz zur Heimat auf Themen wie Antisemitismus und die deutsche Geschichte zu stoßen. Und ich habe gemerkt, wie sehr ich mit den Begriffen »deutsch« und »deutsch sein« ringe. Der Gedanke, daraus eine Identität abzuleiten, ist mir fremd; genau diese Zuschreibungen versuche ich mit der Kamera und auf Reisen zu hinterfragen. Das beginnt schon damit, wie wir beispielsweise über das Dorf reden – mir geht es darum, Plattitüden im Denken und Sprechen so gut es geht zu vermeiden. Wobei es in der Bildproduktion immer genau diese Gefahr gibt. 

https://sz-magazin.sueddeutsche.de/neue-fotografie/ich-habe-gemerkt-wie-sehr-ich-mit-dem-begriff-deutsch-sein-ringe-82471


UNHEIMLICHE RUHE

von Tom Mustroph in der taz anlässlich der Ausstellung LONGING FOR LANDSCAPE - LANDSCHAFTSFOTOGRAFIE IM ANTHROPOZÄN

Landschafts- und Seestücke haben ihre Unschuld verloren. Golden glänzt zwar das Meerwasser im Dämmerlicht vor der Skyline von New Orleans. Der angerostete Frachtkahn, der von rechts ins Bild fährt, erzeugt aber leichte Unruhe und erinnert schließlich an die Havarie der Ölplattform Deepwater Horizon, in deren Folge die Küste von Louisiana vor sechs Jahren so extrem verpestet wurde. Die Berliner Fotografin Constanze Flamme war ein Jahr später vor Ort und ging in ihrer Serie „Troubled Water“ den Folgen des Ereignisses nach. Während das ausgewählte Bild „New Orleans, Mississippi (2011)“ vor allem den mentalen Folgen der Katastrophe nachspürt, dem wissenden Erkennen des Unglücksorts Raum gibt, zeigen andere Arbeiten der Ausstellung „Longing for Landscape – Landschaftsfotografie im Anthropozän“ im Tieranatomischen Theater der Humboldt-Universität direkt die Wirkung, die menschliches Tun in der Landschaft hinterlassen hat. [...]

http://www.taz.de/!5348883/


LEBEN IM DAZWISCHEN

Anmerkungen zur fotografischen Arbeit von Constanze Flamme

Die See ist unruhig, der Himmel eine tief bewegtes Wolkenfeld. Ein voll beladenes Frachtschiff pflügt sich seinen Weg durch die Wellen des Mississippi. Im Hintergrund ragt vor farblich dramatischer Kulisse die Skyline einer Stadt im Abendlicht auf, die im Dunst zu versinken scheint. Eine schwermütige Szenerie, welche den Zyklus Troubled Water der Fotografin Constanze Flamme eröffnet und den Ton vorgibt: Bilder, deren ästhetische Stille zur Kontemplation einladen.

In den Jahren 2011 und 2012 unternahm die 1981 in Husum geborene und in Berlin lebende Fotografin zwei Reisen in den Süden der USA nach Louisiana, um dort den Folgen der Umweltverschmutzung durch die Zerstörung der Ölplattform Deepwater Horizon nachzuspüren. Sie traf dabei auf Menschen, deren Lebenssituation geprägt war von Gefühlen der Isolation, der Unsicherheit, aber auch von einer zähen Widerstandskraft und der Hoffnung, alles werde sich irgendwann wieder zum Besseren wenden.

Für die Menschen, die von der Bewirtschaftung der Gewässer vor der Küste und den angrenzenden Landstrichen abhängig sind und nun nach der Katastrophe ihre Lebensgrundlage eingebüst haben, hat sie sich viel Zeit genommen und großes Einfühlungsvermögen bewiesen. Mit einigen hat sie gemeinsam mehrere Tage verbracht, bis sie das Vertrauen aufbrachten, sich zu öffnen und von ihren Lebensumständen zu erzählen, die nur wenige Monate nach der Katastrophe so gut wie niemanden mehr zu interessieren schienen. Die daraus entstandenen Porträts zeigen daher mehr als nur das jeweilige Motiv eines Fischers, eines Musikers oder der Tochter einer creolischen Familie; sie alle tragen individuelle Geschichten in sich, die in jedem Detail der Aufnahmen mitschwingen — von der Perspektive, dem Bildausschnitt, der Farbigkeit bis hin zur Gestik und Mimik der Porträtierten.

Weitere Fotografien der Serie zeigen Landschaften bedrückender Leere; eine Trostlosigkeit und Weite, in der nur wenige Anzeichen einer lebendigen menschlichen Zivilisation vorhanden sind. Alles ist durchdrungen von einer melancholischen Stimmung, Gebäude sind verschlossen, warten einsam am Wegesrand darauf, daß sich die Straßen wieder mit Leben füllen. Zwar sind nur in wenigen der Motive direkte Verweise auf die Verschmutzung zu erkennen, doch stellt sich ein vages Gefühl des Unheilvollen ein, welches mit alten Autoreifen, Müll und abgestorbenen Bäumen nur eine oberflächliche Ahnung davon geben, welch tiefgreifenden Auswirkungen die Küstenregion Louisianas unterschwellig weiterhin ausgesetzt ist.

In ähnlich subtiler Weise ging Constanze Flamme auch bei weiteren Fotoserien — den Fragments of a Journey — vor, die sie in Ländern wie Israel, Syrien, Jordanien und die Türkei geführt haben. Dort hat sie sich mit der Problematik und den Auswirkungen von Grenzziehungen und Konflikten auseinandergesetzt, wobei ihr Augenmerk hier im besonderen auf Räume gerichtet war, die an den inneren und äußeren Demarkationslinien entstanden sind: auf der einen Seite finden sich von den Menschen zumeist vernachlässigte Nicht-Orte; auf der anderen Seite besondere Fokuspunkte des Glaubens und der Selbstfindung, bzw. -bestimmung.

Ohne diese im einzelnen zu werten, setzt Flamme in ihren Inszenierungen auf den "Versuch eines Buchstabierens von Wirklichkeit" (Paul Nizon), d.h. sie läßt durch ihre besonnene und zugleich nachdenkliche Art der Dokumentation verschiedene, unvoreingenommene Perspektiven zu und eröffnet somit einen freien Urteilsraum für den Betrachter. Dies führt zu sensiblen, jedoch nicht sentimentalen Ansichten der Verhältnisse — ein Verdienst, das in der heutigen Zeit selten und wertvoll ist.

Daniel Klemm, Katalogtext für die Ausstellung während des El Ojo Salvaje- Festival 2014, Paraguay


I first saw the photographs of Constanze Flamme on my computer. But I could not really see them until we met at the gallery. It was quiet there and the quiet of the room drew out the quiet from within the images. The horizon ran out of one photograph and into the next and the next. The horizon was like a stage on which events, human and natural, occurred. Or it was like an
ongoing rhythm or tone over which a melody played and then ended. These natural and human events occurred in the frame of one photograph and then disappeared in the next, replaced by an event or image that recalled the one before it with a kind of visual rhyme or resonance. These photographs did not merely document the aftermath of a certain event (The BP oil spill)
that affected a certain place. This sequence of photographs made me think about the fragility of our bodies, our ancient dependence on water, and compared to waters and the world itself, the almost imperceptible duration of our lives here on earth.

Emily Ferranto, The Art Salon, New Orleans 2012


Constanze Flamme of Berlin, Germany gives us a European view of the aftermath of the Deepwater Horizon spill with her series Troubled Waters. 
Flamme documents the daily lives of the residents of New Orleans and surrounding parishes, and initially one gets a sense of the normalcy that has returned.
However, with a second look the work begins to take on a more sinister feel. It is concerned with the impact of the spill on the local residents as well as the enormous changes happening in the region. Flamme works in a series of contrasts; her images oscillate between day and night, between New Orleans and the surrounding bayous and coastline, and finally between celebration and disaster.

Jeff Rich, The Oxford American, Eyes on the South 2013


It can never be fully predicted how someone or someplace will ever really take hold of you. It is the beauty of human interaction, of the day to day magic some ignore, or worse, have forgotten exists, much less believe. It is an epidemic born of age and particular to those burnt all too often by their own cynicism. And still licking their scars and always freshly opened wounds, these people breed preconception, especially concerning the Deep South.  For everyone outside, it is here that rednecks, niggers, hicks, antiquated southern debutantes, alligators, cockroaches, crooked politicians, religious zealots and slobbering ignorant drunks of every shade of green and yellow congregate and wallow in a backwards debauchery of their own creation. Well, it's all true and it is indeed an enchanted existence. From within the realm of the Deep South Kingdom magic still flourishes in every form, beautiful and strange and covered in dirt from head to toe. Give them an excuse and they will conjure up spells from the thick humid air and ever-changing rot, breathe life into the void, pound the rhythm into the broken, shifting concrete; and with their own sharpened bones they will carve an existence out of the Inevitable Doom.  They do not need your permission or pity, nor will they vie for your acceptance.  These things are simply unnecessary for anyone who has played so long in a zero-sum game.  All they ask is autonomy, the freedom to continue practicing magic as they see fit.

I myself am an adopted son, an outsider granted asylum in their foreign land. And I am a loyal and dedicated student of the craft. I can expertly mask all of the unforgivable absurdity that pervades the south in a smoke and mirrors romanticism, but it would betray the honesty that is every pair of white fishing boots, ghost, specter, possum, seersucker suit, tattoo, costume, sunday get-up, mardi gras bead, crawfish, dive bar; every living being that is the heart in the dirt. To believe in the south and the people that inhabit this place is to simply accept them as they are, for you yourself to survive no matter what the odds. It is the understanding that binds them all.   

When I first met Constanze she was neck deep in this education: deep in love, heartbroken, under duress, darkly tanned, enchanted and emotionally overwhelmed; she was a stranger in a very strange land. But there was no doubting the immensity of her presence there. She was a natural fit. Her art is a testament to this truth and the people that accepted her as one of their own because, what is art other than an excuse to fall in love? Look into their eyes and know there are few places on this earth that encapsulate this excuse better than the American South. It is the common ground where any person can find a foothold and a kind word in the moonlight, where one may come face to face with their own genuine truth; the piece of yourself that is everything addictive and ugly and wonderful concerning the human race. This is the gift that we offer, the gift we live every day among the snakes and bugs. You are welcome to join us, the front porch will always have one last chair … or you can keep walking.  But please, if you don't stop, smile on your way by. 

Nathan Murphy, New Orleans, Textcontribution to the book "troubled water" 2011

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